Wilde Überlebenskünstler

Biologen, Chemiker, Ingenieure und Mediziner können sich bei Pflanzen und Tieren eine Menge Tricks abschauen. Denn die Natur steckt voller Baumaterialien mit verblüffenden Eigenschaften und sie enthält so viele Wirkstoffe wie eine riesige Apotheke. So kann beispielsweise Schlangengift entweder tödlich wirken, oder lebensrettend: als Blutdrucksenker. Der Speichel von Vampirfledermäusen hemmt die Blutgerinnung, und der von Mücken wirkt betäubend. In Honigwaben und Schimmelpilzen finden sich Antibiotika. Seit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Wirkstoff Penicillin entdeckt und zu einem Medikament entwickelt wurde, konnten unzählige Arzneimittel aus natürlichen Wirkstoffen von Pflanzen, Mikroorganismen oder Tieren gewonnen werden. Bis heute sind über die Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente im Grunde Naturstoffe. Tiere und Pflanzen haben aber auch biologisch abbaubare Imprägnierungen, Gleitmittel oder Klebstoffe entwickelt. Jedes Spinnennetz ist eine technische Meisterleistung. Und das verwendete Material schlägt alle von Menschen verwendeten Werkstoffe. Spinnenseide ist extrem elastisch und dabei, gemessen an ihrem Gewicht, stärker als Stahl. Außerdem ist sie wasserfest und dennoch biologisch abbaubar. In Schneckenschleim steckt Allantoin, das die Haut vor Austrocknung schützt. Diese Wirkung ließ die Kosmetikindustrie aufhorchen, und Anti-Aging-Gesichtscremes produzieren, die tatsächlich Schneckenschleim oder zumindest dessen Wirkstoffe enthalten. Und manche Amphibien können körpereigene Frostschutzmittel bilden, die sich die Medizin zu eigen machte, um Zellen und Organteile – wie zum Beispiel Herzklappen - tiefgefroren frisch zu halten.

Die Linien und Formen der Natur wirken auf den ersten Blick oft zufällig und chaotisch. Ein wildes Durcheinander, ganz ohne gerade Linien und rechte Winkel. Dabei sind die unzähligen natürlichen Strukturen und Muster alles andere als regellos. Die Baupläne der verschiedensten Lebewesen entsprechen einer ganz eigenen Geometrie - sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren. In der Natur hat jede Form und Struktur ihren Sinn, denn viele Baupläne der Natur folgen dem Prinzip des geringsten Aufwandes, sind also bestens geeignet, Material und Energie zu sparen. Viele natürliche Strukturen sind kugelrund. Die Kugel ist die ideale Form, um etwas zu umschließen und dabei möglichst wenig Material für die Umhüllung aufzuwenden. Eine Kugel spart also Verpackung. So sind die Eier von Amphibien, Reptilien oder Vögeln immer mehr oder weniger rund. Das macht der Mutter das Legen leichter und sorgt dafür, dass trotz einer möglichst kleinen Oberfläche im Innenraum genügend Platz ist, damit sich das Embryo entwickeln kann. Doch nicht jedes Ei ist eine perfekte Kugel. Auch ovale Formen können sinnvoll sein, damit das Ei nicht aus dem Nest rollt. Ähnliche Vorteile bietet die Sechseckform im Wabenbau von Bienen und Wespen. Das Sechseck sogt für Stabilität und in der Fläche für ein optimales Verhältnis von Wandmaterial zu Volumen – ähnlich wie die Kugel im Raum. Erstaunlich viele Strukturen der Natur basieren auf einem einfachen geometrischen Prinzip: Dem Goldenen Schnitt, aus dem sich auch der Goldene Winkel ableiten lässt. Ihm folgen die Wachstumsmuster zahlreicher Pflanzen, denn Blätter, die in diesem Winkel an einem Stängel wachsen, bringen der Pflanze eine optimale Lichtausbeute. Die geometrischen Regeln der Natur haben Kunst und Architektur immer wieder beeinflusst, vor allem im letzten Jahrhundert.